Die Auswirkungen der neuen BGH-Rechtsprechung zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit
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Liegt Zahlungsunfähigkeit vor? – Was Geschäftsführer in der Krise beachten müssen

Die wirtschaftliche Erholung hat noch einen langen Weg vor sich – nach drei Jahren langwieriger Krise gilt es, die Frage zu beantworten, ob das eigene Unternehmen noch zahlungsfähig ist. Trotz der diversen „Corona-Entlastungsmaßnahmen“ gilt die Insolvenzantragspflicht im Insolvenzfall weiterhin uneingeschränkt. Daher muss rechtzeitig eine notwendige Restrukturierung oder Reorganisation angegangen werden, sofern noch Reserven vorhanden sind.

Nicht zuletzt ist die deutsche Wirtschaft im letzten Quartal 2022 stärker als bisher erwartet geschrumpft und das BIP könnte auch im ersten Quartal dieses Jahres sinken.  Angesichts der makroökonomischen Auswirkungen der zahlreichen Krisen, die in den letzten drei Jahren als langwierige Krisen anhielten, begleitet von einer restriktiveren Kreditvergabe der Banken und allgemein höheren Preisen, sollten Geschäftsführer regelmäßig überprüfen, ob das Unternehmen noch zahlungsfähig ist.

Die Beantwortung dieser Frage ist nicht nur für das Unternehmen wichtig, sondern auch für die Haftung der Verantwortlichen. Grundsätzlich ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, wenn es seine Schulden bei Fälligkeit nicht mehr bezahlen kann – der mit Abstand häufigste Grund für einen Insolvenzantrag. In solchen Fällen gilt die Insolvenzantragspflicht und der Geschäftsführer ist verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist (in der Regel drei Wochen) einen Insolvenzantrag zu stellen. Daran ändern auch vereinfachte Insolvenzgesetze, die im November 2022 in Kraft treten, nichts.

Legale Definition der Zahlungsfähigkeit

Zahlungsunfähigkeit liegt nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn das Unternehmen zu einem Stichtag zehn Prozent oder mehr seiner fälligen Verbindlichkeiten mit den vorhandenen liquiden Mitteln nicht begleichen kann und diese Lücke auch nicht innerhalb von drei Wochen unter Beachtung der in dieser Zeit fällig werdenden Verbindlichkeiten mit den in diesem Zeitraum zusätzlich verfügbar werdenden liquiden Mitteln schließen kann. Ob ein Unternehmen zahlungsunfähig ist oder nicht, lässt sich für den jeweils aktuellen Tag mit der sogenannten erweiterten Liquiditätsbilanz feststellen, deren Berechnung in zwei Schritten erfolgt. Der erste Schritt der erweiterten Liquiditätsbilanz: Zu einem Stichtag werden die vorhandenen Geldmittel und die noch an diesem Tag zufließenden Gelder aus dem Einzug von Forderungen des Unternehmens den zu diesem Stichtag fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt.

Der zweite Schritt: Decken die vorhandenen Geldmittel die fälligen Verbindlichkeiten nicht zu mindestens 90 Prozent, muss im zweiten Schritt geprüft werden, ob diese Unterdeckung innerhalb der folgenden drei Wochen beseitigt werden kann. Dazu werden die voraussichtlichen Einnahmen der nächsten drei Wochen und die Verbindlichkeiten, die in diesem Zeitraum fällig werden und daher bedient werden müssen, jeweils zu den Stichtagswerten hinzugerechnet. Wichtig ist allerdings, dass Warenvorräte und teilfertige Leistungen bei der Berechnung erst dann berücksichtigt werden dürfen, wenn diesbezüglich einzugsfähige Forderungen einem Kunden in Rechnung gestellt worden sind und eine Zahlung des Kunden in den drei Wochen zu erwarten ist.

Drei Wochen-Frist von immenser Bedeutung

Wenn sicher ist, dass die liquiden Mittel zum ersten Stichtag und auch in den nächsten drei Wochen die fälligen Verbindlichkeiten nicht vollständig abdecken, ist das Unternehmen bereits zum ersten Stichtag zahlungsunfähig. Die beiden dargestellten Schritte der etablierten erweiterten Liquiditätsbilanz zeigen, wie wichtig einerseits die zügige Rechnungstellung für erbrachte Leistungen und gelieferte Waren ist und dass andererseits bei der Antwort auf die Frage, ob das Unternehmen noch zahlungsfähig ist, durchaus professionelle Hilfe zu Rate gezogen werden sollte, damit Geschäftsleiter das Risiko einer persönlichen Haftung für sich reduzieren.

Vereinfachte Methode des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat im Sommer 2022 in einer Grundsatzentscheidung eine vereinfachte Methode zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ermöglicht, die jedoch für Unternehmen und gerade auch für Geschäftsleiter durchaus mit Risiken verbunden ist. Nach der BGH-Entscheidung ist es möglich, an mehreren Stichtagen innerhalb eines dreiwöchigen Zeitraumes jeweils einen vereinfachten Liquiditätsstatus zu erstellen. In diesem vereinfachten Status, der dem ersten Schritt der erweiterten Liquiditätsbilanz entspricht, werden die am jeweiligen Stichtag konkret vorhandenen Geldmittel (Kasse, Bank und an dem Tag zufließende Gelder aus dem Einzug von Forderungen) und die konkret zum jeweiligen Stichtag fälligen und unbezahlten Verbindlichkeiten einander gegenübergestellt. Wenn sich an drei weiteren aufeinanderfolgenden Stichtagen innerhalb eines drei Wochen-Zeitraumes bei dieser Gegenüberstellung herausstellt, dass die Liquiditätslücke jeweils zehn Prozent oder mehr beträgt, gilt das Unternehmen sogar rückwirkend ab dem ersten Stichtag als zahlungsunfähig.

Ungewollte Insolvenzverschleppung und Haftungsrisiko

Für Geschäftsführer erhöht die vereinfachte Methode das Risiko einer Insolvenzverschleppung. Sie stellen dabei erst mit dem letzten Liquiditätsstatus nach drei Wochen fest, ob ihr Unternehmen bereits zum ersten Stichtag, also drei Wochen zuvor, zahlungsunfähig war. Es ist damit bereits ein erheblicher Zeitraum mit eingetretener Zahlungsunfähigkeit vergangen. Hinzu kommt, dass die Frist für die Stellung eines Insolvenzantrages lediglich drei Wochen ab dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beträgt. Es kann daher sein, dass ein Geschäftsleiter erst am letzten Tag der Frist erfährt, dass er zur Vermeidung von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung noch an diesem Tag einen Insolvenzantrag stellen muss, was angesichts der dafür notwendigen Zeit quasi unmöglich ist.

Wird ein Insolvenzantrag allerdings zu spät gestellt, können dem Geschäftsleiter aufgrund der Haftungsregeln des Insolvenzrechts erhebliche finanzielle Konsequenzen drohen – etwa für Auszahlungen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Abhängig vom finanziellen Volumen der Zahlungen und dem Zeitraum der Insolvenzverschleppung hängt in einer solchen Situation über so manchem Geschäftsleiter ein mitunter Millionen Euro schweres Haftungs-Damoklesschwert. Gegebenenfalls sind im Zusammenhang stehende Kriterien wie ernsthafte Sanierungsbestrebungen und der Masse zugeflossene Gegenleistungen zu berücksichtigen.

Unterschiedliche Sanierungsoptionen prüfen

Grundsätzlich gilt: Geschäftsleiter sollten eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung rechtzeitig angehen, wenn ihr Unternehmen noch Reserven hat. Wenn Gegenmaßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden, bestehen bessere Chancen auf einen erfolgreichen und nachhaltigen Ausgang. Einfach abzuwarten und auf eine baldige Besserung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen, ist keine sinnvolle Strategie. Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in einer Krise befindet oder absehbar darauf zusteuert – was unter anderem an der zunehmenden Ausschöpfung der gewährten Kontokorrentlinien erkennbar ist – sollten auch eine Neuaufstellung mit Hilfe der Instrumente des Sanierungsrechts zumindest als Option ansehen. Bei finanziellen Schwierigkeiten ist zunächst immer der Versuch einer außergerichtlichen Sanierung sinnvoll.

Dies erfordert jedoch oft schwierige Verhandlungen mit den Gläubigern, die in der Regel sämtlich dem Sanierungskonzept zustimmen müssen. Stimmt auch nur ein Gläubiger nicht zu, kann es schwierig werden, auf diesem Weg eine Lösung zu finden. Im deutschen Sanierungs- und Insolvenzrecht stehen Geschäftsleitern gleichwohl verschiedene weitere Möglichkeiten und Verfahren zur Verfügung.

StaRUG oder Schutzschirm?

Ist die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens gesichert, gibt es seit dem 1. Januar 2021 die Möglichkeit einer Restrukturierung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -Sanierungsgesetz, kurz StaRUG. Dies kann ein erfolgversprechender Schritt sein, da im StaRUG-Verfahren nur noch drei Viertel der betroffenen Gläubiger dem Restrukturierungsplan zustimmen müssen. Mit dem StaRUG kann ein Unternehmen sich mit einem angepassten Finanzplan außerhalb eines Insolvenzverfahrens und unter Ausschluss der Öffentlichkeit neu ausrichten. Kommt das StaRUG nicht in Betracht, weil das Unternehmen seine Zahlungsfähigkeit absehbar nicht (mehr) sicherstellen kann, stehen mit dem Schutzschirmverfahren, der Eigenverwaltung (Sanierung in eigener Regie), aber auch mit der Regelinsolvenz weitere Sanierungsverfahren zur Verfügung.

Allerdings ist die Antwort auf die Frage der Zahlungsunfähigkeit nicht nur mit dem Blick auf eine mögliche Haftung, sondern insbesondere bei einer vorinsolvenzlichen StaRUG-Restrukturierung und bei einem Schutzschirmverfahren von Belang. Beide Verfahren können Unternehmen nur dann beantragen, wenn einem Unternehmen die Zahlungsunfähigkeit nur droht, sie aber noch nicht eingetreten ist.

Fazit:

Geschäftsleiter, deren Unternehmen aufgrund der Multi-Dauerkrise in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind oder absehbar geraten werden, haben mehrere Möglichkeiten und Verfahren, um Krisen zu meistern. Dieses Ziel wird am besten erreicht, wenn alle Beteiligten wissen, was sie zu tun haben, und wenn frühzeitig, schnell und konsequent gehandelt wird. So hart es klingt: Zu spät kann in diesen Zeiten das „totale Aus“ bedeuten.

 

Prüfung Zahlungsunfähigkeit von Rechtsanwalt Soeren Eckhoff - Rechtsanwalt Insolvenzrecht Bremen und Berlin

Über den Autor

Rechtsanwalt Soeren Eckhoff – spezialisiert auf die Bereiche Insolvenzrecht und Sanierung

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