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Die Krise in der Pflegebranche

Pflegebranche in Deutschland: Herausforderungen, Insolvenzen und Wege zu nachhaltigen Lösungen

Die Pflegebranche in Deutschland sieht sich mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Der wachsenden Nachfrage nach qualifizierter und würdevoller Pflege stehen ein Mangel an Fachkräften, hohe Kosten und regulatorische Hürden gegenüber. In den vergangenen Jahren haben sich die wirtschaftlichen Probleme zahlreicher Pflegeeinrichtungen weiter verschärft, was zu einer Reihe von Insolvenzen geführt hat. Welche Ursachen und Auswirkungen hat diese Welle von Pleiten? Wie können Pflegeheime saniert und zukunftsfähig gemacht werden? Welche Rolle spielen Politik, Gesellschaft und die Pflegebedürftigen selbst bei der Bewältigung dieser Krise? Diesen Fragen widmet sich der folgende Artikel, der einen Überblick über die gegenwärtige Situation und potenzielle Lösungsansätze bietet.

Ursachen der Krise

Ein Grund für die finanziellen Krise der Pflegeheime sind die zähen Verhandlungen mit den Pflegekassen. Diese sind verantwortlich für die Finanzierung der vereinbarten Pflegeleistungen, und die Verhandlungen gestalten sich oft als langwierig und komplex. Hierbei streben die Pflegekassen an, die Kosten möglichst niedrig zu halten, während die Pflegeheime ihre steigenden Ausgaben decken müssen. Dies führt dazu, dass die Pflegesätze oft nicht die tatsächlichen Kosten der Pflege decken. Die Pflegeheime sind daher vermehrt auf Eigenanteile der Bewohner oder Zuschüsse der Kommunen angewiesen, die jedoch nicht immer ausreichend oder rechtzeitig verfügbar sind, was zu Zahlungsschwierigkeiten führt.

Die Pflegebranche sieht sich einer "Multi-Krise" gegenüber, bei der mehrere Krisen gleichzeitig wirken und sich gegenseitig verstärken. Dazu zählen die immer noch spürbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie, die zu einer Unterbelegung der Pflegeheime, höheren Hygieneanforderungen und zusätzlichen Belastungen für das Personal geführt hat; der Ukraine-Krieg, der zu einem Anstieg der Energiepreise und damit der Sachkosten beigetragen hat; sowie der demografische Wandel, der zu einem wachsenden Bedarf an Pflegeplätzen geführt hat. Diese Faktoren haben die finanzielle Situation der Pflegeheime erheblich verschärft.

Der Fachkräftemangel stellt ein weiteres signifikantes Problem dar. Die Pflegebranche leidet unter einem Mangel an qualifizierten Pflegekräften, was auf eine Vielzahl von Gründen zurückzuführen ist, darunter schlechte Arbeitsbedingungen, geringe Bezahlung, hohe körperliche und psychische Belastung sowie mangelnde gesellschaftliche Anerkennung. Dieser Mangel führt zu einer Überlastung des vorhandenen Personals, einer sinkenden Pflegequalität, höherer Fluktuation und einer Abhängigkeit von teuren Zeitarbeitsfirmen.

Die sinkende Belegung der Pflegeheime in den letzten Jahren hat zu einem Einnahmeverlust geführt. Denn laut dem Pflegeforscher Thomas Kalwitzki von der Universität Bremen muss ein Heim zu 98% belegt sein, um rentabel zu sein. Ursachen für die sinkende Belegung sind unter anderem die Corona-Pandemie, die zu Ängsten vor Ansteckung und einem Rückgang der Neuaufnahmen führte, sowie die Präferenz vieler Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen für ambulante oder häusliche Pflege. Die steigenden Eigenanteile, die viele Bewohner nicht mehr aufbringen können, haben ebenfalls zu einem Rückgang der Belegungszahlen beigetragen. Bei aber konstanten Fixkosten der Pflegeheime führt die Reduzierung der Belegung zu einer Verringerung ihrer Wirtschaftlichkeit.

Die kumulierten Effekte dieser Ursachen haben zu einer beispiellosen Insolvenzwelle unter Seniorenheim-Trägern geführt. Laut dem Arbeitgeberverband Pflege haben bis Mitte Dezember des Jahres 2023 783 Pflegeeinrichtungen aus der Altenpflege Insolvenz angemeldet. Die Auswirkungen dieser Insolvenzwelle sind gravierend und betreffen die Pflegebedürftigen, die Mitarbeiter, die Kommunen und die Gesellschaft als Ganzes.

Dramatische Folgen für die Pflegebedürftigen

Die Insolvenzwelle unter Seniorenheim-Trägern hat weitreichende Auswirkungen, die nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch sozialer und gesundheitlicher Natur sind und die Lebenssituation der Pflegebedürftigen erheblich beeinträchtigen. Die Schließung von Pflegeheimen führt zu einem Verlust von Betreuungsplätzen, sowohl stationär als auch ambulant, und droht somit eine Versorgungskatastrophe in der Altenpflege auszulösen.

Pflegebedürftige, die von geschlossenen oder insolventen Pflegeheimen betroffen sind, sehen sich gezwungen, nach einem neuen Platz Ausschau zu halten – häufig weit entfernt von ihrem bisherigen Wohnort. Dieser mit Stress, Kosten und Unsicherheit verbundene Umzug bedeutet für die Betroffenen die Anpassung an eine völlig neue Umgebung, ein neues Pflegepersonal und neue Mitbewohner.

Wie kann es weitergehen?

Die enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Pflegebranche ist entscheidend, um angemessene Lösungen zu entwickeln, die sowohl den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen gerecht werden als auch die finanzielle Stabilität der Einrichtungen gewährleisten.

Der Arbeitgeberverband Pflege, der die Interessen von zahlreichen Mitgliedsunternehmen vertritt, hat konkrete Forderungen an die Politik gerichtet. Der Verband beklagt fehlendes Verantwortungsbewusstsein der Politik und Pflegekassen und fordert deshalb die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf einen Pflegeplatz. Zusätzlich appelliert der Verband an die Politik und fordert deutschlandweit beschleunigte Berufsanerkennungsverfahren durch verstärkte Digitalisierung. Ein vielversprechendes Beispiel bietet Bayern, die mit einer sogenannten Fast Lane für ausländische Pflegekräfte eine automatisierte und digitalisierte Anerkennung ermöglicht, oft innerhalb weniger Tage.

Diese Maßnahmen zur Rettung der Pflegeheime sind von großer Bedeutung. Sie tragen dazu bei, die Versorgungssicherheit und Pflegequalität zu verbessern, Eigenanteile zu senken und die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche attraktiver zu gestalten.

Sollte ein Insolvenzverfahren nicht zu vermeiden sein, bedeutet dies aber nicht das Ende des Pflegeheimbetreibers. Der Betrieb wird auch nach einem Insolvenzantrag aufgrund der Liquiditätsvorteile im Antragsverfahren, insbesondere wegen des Insolvenzgeldes, fortgeführt werden können. Das Insolvenzgeld ist eine Leistung der Bundesagentur für Arbeit, die Arbeitnehmern zusteht, wenn der Arbeitgeber insolvent ist und keine Löhne mehr zahlen kann. Das Insolvenzgeld steigert die Liquidität des Arbeitgebers, ermöglicht die Deckung laufender Kosten und trägt somit dazu bei, seine finanzielle Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten.

Eine nachhaltige Lösung könnte in einer übertragenden Sanierung (auch als „Asset Deal“ bezeichnet) liegen, bei der das Unternehmen von einem Wettbewerber übernommen wird, der die Pflegeheime nach zu hebenden Synergieeffekten kostendeckend betreiben kann. Die Übernahme von Pflegeheimen durch Wettbewerber kann auch dazu beitragen, die Versorgungsqualität zu verbessern, indem die Betriebsabläufe optimiert und die Fachkompetenz gebündelt wird. Auch bietet das Insolvenzverfahren dann die Möglichkeit, sich von wirtschaftlich ungünstigen Verträgen zu trennen oder diese neu zu verhandeln.

Eine alternative Option besteht in der Sanierung mittels eines Insolvenzplans, bei dem das Unternehmen beim insolventen Rechtsträger verbleibt, jedoch nach einer finanziellen und gegebenenfalls auch leistungswirtschaftlichen Sanierung neu ausgerichtet wird.

Und der Fachkräftemangel?

Der Fachkräftemangel in der Pflegebranche stellt eines der größten Probleme dar, das zu einer Verschlechterung der Pflegequalität und einer Erhöhung der Kosten führt. Die steigende Anzahl und die wachsenden Ansprüche der Pflegebedürftigen können aufgrund unzureichender qualifizierter Pflegekräfte nicht erfüllt werden. Die Ursachen dafür sind vielfältig: von schlechten Arbeitsbedingungen, geringer Bezahlung und hoher physischer sowie psychischer Belastung bis zu mangelndem gesellschaftlichem Ansehen, unzureichenden Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie fehlender Anerkennung ausländischer Abschlüsse.

Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken oder zumindest abzumildern, sind verschiedene Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen erforderlich. Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflegebranche müssen attraktiver gestaltet werden, um mehr Menschen für den Beruf zu gewinnen und zu halten. Dies umfasst eine angemessene Personalausstattung, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine höhere Wertschätzung und Anerkennung, eine gerechte Entlohnung und eine verbesserte Altersvorsorge. Die Gewerkschaft Verdi setzt sich beispielsweise für einen bundesweiten Tarifvertrag ein, der Löhne anheben und Arbeitszeiten regulieren soll.

Die Aus- und Weiterbildung in der Pflegebranche muss qualitativ hochwertig, praxisnah und zukunftsorientiert sein, um die Kompetenzen und die Motivation der Pflegekräfte zu stärken. Dazu gehören eine bessere Ausstattung und Finanzierung der Pflegeschulen, eine stärkere Vernetzung mit den Pflegeeinrichtungen, eine bessere Betreuung und Anleitung der Auszubildenden, eine stärkere Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Interessen der Lernenden, eine stärkere Einbindung digitaler Medien und eine bessere Anrechnung von Vorqualifikationen. Die Bundesregierung hat beispielsweise schon 2019 die Ausbildungsoffensive Pflege gestartet, die bis 2023 mindestens zehn Prozent zusätzliche Auszubildende und ausbildenden Einrichtungen in der Pflege schaffen soll.

Die Attraktivität des Pflegeberufs muss durch umfassende Information über Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten, positive Medienpräsenz und verstärkte Einbindung von Schülern, Studierenden und Quereinsteigern in die Pflegepraxis verbessert werden. Initiativen wie die Bundesregierungskampagne "Mach Karriere als Mensch!" zielen darauf ab, das Berufsbild positiv zu gestalten.

Angesichts unzureichender inländischer Ressourcen können die Anwerbung und Integration von Fachkräften aus dem Ausland eine wichtige Ergänzung sein. Hierzu gehören die erleichterte Anerkennung ausländischer Abschlüsse, bessere Sprachförderung und interkulturelle Kompetenzvermittlung sowie Maßnahmen zur Verhinderung von Ausbeutung und Diskriminierung.

Fazit

Die Pflegebranche in Deutschland steht vor erheblichen Herausforderungen, darunter eine Insolvenzwelle bei Seniorenheim-Trägern, verursacht durch langwierige Verhandlungen mit Pflegekassen, eine "Multi-Krise" durch Faktoren wie die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg, sowie einen signifikanten Fachkräftemangel. Die Auswirkungen dieser Krise betreffen nicht nur die Wirtschaft, sondern haben auch schwerwiegende soziale und gesundheitliche Konsequenzen für Pflegebedürftige.

Die enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Pflegebranche und Gesellschaft ist entscheidend, um umfassende Lösungen zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen gerecht werden und die finanzielle Stabilität der Einrichtungen sicherstellen. Nur durch koordinierte Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen kann die Pflegebranche zukunftsfähig gemacht werden, um die Versorgungssicherheit und die Pflegequalität langfristig zu gewährleisten.

Krise der Pflegebranche von Rechtsanwalt Soeren Eckhoff - Rechtsanwalt Insolvenzrecht Bremen und Berlin

Über den Autor

Rechtsanwalt Soeren Eckhoff – spezialisiert auf die Bereiche Insolvenzrecht und Sanierung

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